Der Kapitelsaal befindet sich im Herzen des unter Paul V. Borghese (1605-1621) errichteten Kanonikergebäudes, ein prächtiger Palazzo, der sich rechts der Basilika anfügt. Zusammen mit der Paulinischen Kapelle bildet er das zweite unter Paul V. an der Marienbasilika errichtete Bauwerk. Das kompakte Gebäude auf quadratischem Grundriss wurde zwischen 1605 und 1608 von dem lombardischen Architekten Flaminio Ponzio errichtet. Es beherbergt die große Sakristei und zahlreiche Dienst- und Wohnräume der Kanoniker, die sich über fünf Stockwerke verteilen. In seiner räumlichen Gliederung entspricht der Palazzo den während des Konzils von Trient (1545-1563) entwickelten Richtlinien, die auch das religiöse Leben der Kanoniker zu strukturieren und ordnen suchen.
Der Kapitelsaal, aufgrund der hier vereinten Papstportraits auch „Saal der Päpste“ genannt, ist der traditionelle Versammlungssaal der Kanoniker. Der auf einem quadratischen Grundriss errichtete Raum ließ sich über einem offenen Kamin beheizen. Dieser ist mit den Wappensymbolen des Auftraggebers, dem Adler und dem Drachen, und einer Fruchtgirlande verziert. Trotz der prächtigen hölzernen Kassettendecke, die den etwa 8,75 Meter hohen Saal schmückt, ist das allgemeine Erscheinungsbild des Raumes, im Gegensatz zur Basilika oder Sakristei, eher nüchtern gehalten, womit auf dessen profane und praktische Funktion verwiesen wird.
Heute präsentiert sich der Kapitelsaal als eine Art „Pantheon“ der bekanntesten Wohltäter Santa Maria Maggiores. Über zwei prächtigen aus Nussbaumholz gestalteten Paramentschränken des 17. Jahrhunderts sind verschiedene Förderer der Basilika dargestellt. Die Portraitgalerie wurde unter dem Pontifikat Urbans VIII. (1623-1644) mit der Intention geschaffen, denjenigen ein Denkmal zu setzen, die zum Erhalt und zur Verschönerung der Basilika beigetragen hatten.
Der ursprüngliche Kern der Portraitgalerie besteht aus dreiundzwanzig Gemälden, die zwischen 1631 und 1632 von Ascanio Barigioni gemalt wurden. Das Porträt von Philipp IV. wurde um 1650 von dem Morisken Juan de Pareja gemalt, einem Mitarbeiter von Diego Velázquez. Gemeinsam mit den Bildnissen von Philipp III. und Margarete von Österreich, ruft es die Rolle der spanischen Könige als Ehrenkanoniker in Erinnerung. Das große Leinwandbild von Domenico Maria Muratori über dem Kamin zeigt den Heiligen Karl Borromäus während einer Bittprozession. Der einstige Erzbischof von Mailand war der erste und einzige Erzpriester von Santa Maria Maggiore, der 1610 von Paul V. persönlich heiliggesprochen wurde.
Der Saal ist über eine elegante Wendeltreppe aus Travertin erreichbar, die alle fünf Stockwerke, von der Sakristei bis zum Eingang des Glockenturms des Kanonikergebäudes verbindet. Die 125 cm breite Treppe besteht aus exakt einhundert Stufen und wird über einen durchfensterten Aufsatz von oben natürlich beleuchtet.
Die dynamische Aufstiegsbewegung nimmt ihren Ausgang von einer in Travertin gemeißelten Sphäre in der Mitte der Stiege, die von zweiundzwanzig bronzenen Kugeln am Treppenlauf aufgenommen werden.
Das Vestibül der frühbarocken Wendeltreppe bildet gleichsam den Eingang zum Museum der Basilika. In drei Themenbereiche unterteilt, widmet es sich anhand bedeutender Kunstwerke der Basilika in seiner Rolle als “Bethlehem des Westens“, „als Unsere Liebe Frau vom Schnee“ und als „Schrein der Marienikone Salus Populi Romani“.
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Foto 1: Gesamtansicht des Kapitelsaals
Foto 2: Die auch „Treppe des Bernini“ genannte Wendeltreppe im Kanonikergebäude
Foto 3: Paolo de Angelis, Valerien Regnards, Das Kanonikergebäude Pauls V. mit der Großen Sakristei und dem Kapitelsaal, Kupferstich, 1621